Mitarbeitende gehen vor

30 Jahre lang stand Adrian Steiner im Dienst der VetsuisseFakultät. Studiert hatte er in Zürich, seit 2003 hat der passionierte YB-Fan die Berner Nutztierklinik geleitet. Im Übergang zum Ruhestand findet er neue Freiheiten. Und Zeit für ein Gespräch mit der VetsuisseNEWS.

Adrian, du bist pensioniert und nimmst dir freundlicherweise Zeit für ein Interview mit der VetsuisseNEWS. Dafür treffen wir uns an der Universität. Warum das?
Wahrscheinlich kann ich nicht so schnell aufhören (lacht). Ich habe im Frühjahrssemester auch noch Vorlesungen gehalten, jetzt bin ich noch für das Klauengesundheitsprojekt an der Uni. Ein Projekt, an dem ich viel Freude habe. Der Übergang erfolgt so schrittweise, auch damit ich nicht in ein Loch falle.

«Vor 20 Jahren war eine Schmerzausschaltung bei der Kastration von Kälbern noch nicht vorgeschrieben.» Adrian Steiner hat sich ein Berufsleben lang für das Tierwohl engagiert. © Olivier Rüegsegger

Ich bin schon als Bub mit dem lokalen Landtierarzt mitgefahren.

Du hast in Zürich studiert, bist zuerst bei den Pferden gelandet. Warum der Wechsel zu den Rindern? Warum nicht Kleintiere?
Die Kleintiermedizin hat mich nie interessiert. Pferdemedizin schon, deshalb habe ich dort meine Dissertation geschrieben. Aber wofür mein Feuer brennt, das sind die Rinder. Und die Landwirtschaft. Ich bin schon als Bub mit dem lokalen Landtierarzt mitgefahren.

Früher war die Nutztiermedizin die Daseinsberechtigung der Veterinärmedizin, heute wird sie von Studierenden kaum mehr gewählt. Was ist passiert?
Das Interesse an der Nutztiermedizin hat in den letzten 30 Jahren kontinuierlich abgenommen, jenes an Kleintieren zugenommen. Ich weiss nicht genau, weshalb. Vielleicht liegt es daran, dass man in der Kleintiermedizin mehr verdient. Das stimmt aber nur, wenn man es auf den Stundenlohn runterbricht. Das Einkommen in der Nutztiermedizin ist etwa gleich gross, nur muss man dafür etwa anderthalbmal so lange arbeiten. Vielleicht sind Kleintiere auch einfach salonfähiger als Nutztiere.

Wie könnte man das Interesse an der Nutztiermedizin steigern?
Das haben schon viele Fakultäten versucht. Man kann bei der Studienplatzvergabe ein separates Kontingent für Studierende schaffen, die sich auf Nutztiere spezialisieren möchten. Utrecht hat dies probiert, aber auch Japan kennt dieses Modell. Dort wird den Studierenden ein Teil des Studiums bezahlt, im Gegenzug müssen sie nach dem Studium eine bestimmte Zeit in der Nutztierpraxis arbeiten, sonst müssen sie die Beiträge zurückbezahlen. Das wäre ein möglicher Weg. Wenn es an einem anderen Ort funktioniert, weshalb sollte es nicht auch in der Schweiz funktionieren?

Wer hätte ein Interesse dran, dies zu finanzieren?
Die Branche – in diesem Fall die Landwirtschaft – müsste interessiert sein. Aber auch der Bund – schliesslich geht es um Lebensmittelsicherheit und -versorgung. Das Bewusstsein ist da: Es ist bekannt, dass wir einen Nachwuchsmangel im Nutztierbereich haben. Das zeigen auch die politischen Vorstösse.

Eine Kuh hat ziemlich viel mehr Wert als eine Sau.

Wie siehst du die Nutztiermedizin in 20 Jahren? Was verändert sich?
Der Fokus bewegt sich weg vom Einzeltier. Die Herdengesundheit und damit die Lebensmittelsicherheit rücken in den Kern unserer Arbeit. Etwas, was wir bei den Schweinen schon vor über zwanzig Jahren beobachtet haben. Das kommt auch bei uns – einfach ein bisschen später und weniger drastisch: Eine Kuh hat ziemlich viel mehr Wert als eine Sau.

Dein wissenschaftliches Vermächtnis ist riesig. Gibt es etwas, worauf du besonders stolz bist?
Ja, mehrere Sachen (lacht). Besonders die angewandte Forschung mit hohem Effekt auf das Tierwohl, welc he auch zu Gesetzesänderungen geführt hat. Angefangen mit der Eine Kuh hat ziemlich viel mehr Wert als eine Sau. Anästhesie bei der Kastration: Vor 20 Jahren war eine Schmerzausschaltung bei der Kastration von Kälbern noch nicht vorgeschrieben. Oder die Forschung zur Euterfüllung bei Ausstellungskühen: Wir konnten mit Ultraschall die Euterüberfüllung nachweisen. Das wird jetzt an den grossen Milchviehausstellungen angewandt. Stolz bin ich aber auch auf die Lehre: Unsere Studierenden sind im ersten Jahr noch schüchtern, fast ängstlich. Und irgendwann verlassen sie selbstbewusst die Uni mit einem Doktortitel in der Tasche. Es ist viel aus ihnen geworden. Es war immer schön, deren Entwicklung zu verfolgen.

Was hast du nicht erreicht?
Vielleicht ist es gar nicht so viel. Mit den Dingen, die mich interessieren, habe ich mich so lange beschäftigt, bis sie eine Wirkung gezeigt haben. Aber das dauert. Bis wir im Klauengesundheitsprojekt eine nationale Kampagne haben, geht es jetzt noch weitere fünf bis zehn Jahre.

Kommunikation ist extrem wichtig.

Du hast Dich mit Deiner Arbeit immer für das Tierwohl eingesetzt, nicht immer zur Freude aller. Wie geht man mit Widerstand um, damit man seine Ziele erreichen kann?
Kommunikation ist extrem wichtig. Das habe ich gelernt in dieser Zeit. Früher war ich darin nicht so gut. Es geht darum, möglichst von Anfang an die gesamte betroffene Branche in die Diskussionen einzubeziehen.

«Ich kann auch wieder spontan Leute treffen, das ging früher nicht.» Adrian Steiner geniesst die neuen Freiheiten. © Olivier Rüegsegger

Wechseln wir nach innen. Du warst jahrelang Chef des Departements für klinische Veterinärmedizin (DKV). Welche Rolle spielen die Kliniken für die Fakultät?
Die Kliniken sind äusserst relevant für die Ausbildung der Studierenden. Das ist eine der Hauptaufgaben der Universität, und die können wir ohne die Kliniken nicht erfüllen.

Wie schwierig ist es, einen solchen Dienstleistungsbetrieb innerhalb der universitären Strukturen zu betreiben?
Man kann sich weniger frei bewegen als in der Privatpraxis. Im Gegensatz zu uns ist das Inselspital ausgelagert, es erhält für die Ausbildung der Studierenden einen jährlichen Beitrag der Universität. Dies ermöglicht ihnen mehr Freiheiten, nimmt sie aber auch finanziell mehr in die Verantwortung. Strukturen mögen einengen, sind jedoch notwendig. Wären wir unabhängiger von der Universität, müssten wir uns alle diese Strukturen selbst schaffen – und das ist eine riesige Aufgabe.

Früher konntest du die Wände zukleistern mit Dankesbriefen, das hat stark abgenommen.

Was hat sich auf Seite der Kundinnen und Kunden der Kliniken verändert?
Die Erwartungen sind gestiegen; Kundinnen und Kunden fordern heute mehr von uns. Vor 20 Jahren hat man eher akzeptiert, dass auch das Leben eines Tieres ein Ende hat. Heute fehlt dieses Verständnis manchmal. Die Fälle werden komplexer, Kundinnen und Kunden suchen immer häufiger Fehler in der medizinischen Versorgung. Diese Entwicklung ist für uns schwierig. Entsprechend hat sich auch die Dankbarkeit verändert. Früher konntest du die Wände zukleistern mit Dankesbriefen, das hat stark abgenommen.

Was war dir als Chef besonders wichtig?
Es ist relevant, wie man mit seinen Mitarbeitenden umgeht. Ohne sie geht gar nichts. Ich habe es auch nicht immer geschafft – aber man muss sich Zeit nehmen, um ein gutes Arbeitsklima zu schaffen. Als Vorgesetzter muss man seine Leute anhören. Selbst dann, wenn man keine Zeit hat: Mitarbeitende gehen vor. Vor jeder Gremiensitzung.

Du bist aktuell noch im Klauenprojekt engagiert, daneben hast Du viel Zeit gewonnen. Was machst Du damit?
Neu kann ich auch am Abend an ein YB-Spiel gehen und ein Bier trinken, ohne dass ich dauernd daran denken muss, dass ich am nächsten Morgen wieder früh aufstehen muss (lacht). Ich habe viel mehr Freiheiten. Die Fremdbestimmung in meiner Position war gross: Ständig Termine, der Kalender hat sich wie von allein gefüllt. Das ist jetzt weg. Ich kann auch wieder spontan Leute treffen, das ging früher nicht. Diese neue Freiheit geniesse ich, es geht mir gut.

 

Dieser Artikel erschein im Original in der VetsuisseNews 2/25.