Wir freuen uns sehr, dass Sie Zeit für ein Interview mit uns gefunden haben. Sie werden ab Sommer die neue Rektorin der Universität Bern werden. Auf welche Aufgaben/Herausforderungen freuen Sie sich? Welche fürchten Sie eher?
Die aktuelle Diskussion um Wissenschaftlichkeit hat für mich hohen Stellenwert. Wo kann und muss man Wissenschaftlichkeit von Aktivismus abgrenzen? Wie viel politisches Engagement soll, wieviel darf im Rahmen einer Universität als akademische Institution stattfinden? Ich freue mich darauf, genau zu diesen komplexen Themen ins Gespräch zu gehen und die Arbeit eines dafür ins Leben gerufenen Arbeitskreises mitverfolgen zu können. Mein Ziel ist es, auf verschiedenen Ebenen der Universität den Dialog dazu zu fördern, damit nicht einzig Vorgaben durch die Universitätsleitung erfolgen, ohne weiterführende und offene Diskussionen geführt zu haben.
Mit meiner neuen Position als Rektorin geht auch ein Sitz im Verwaltungsrat des Inselspitals und der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) einher. Wenngleich ich auf diesen neuen Arbeitsbereich gespannt bin, sehe ich auch hier eine grosse Herausforderung. Es erfordert ein fundiertes Einarbeiten meinerseits, um die Strukturen der beiden Einrichtungen verstehen zu können und somit nicht zuletzt der medialen Aufmerksamkeit der letzten Zeit kompetent begegnen zu können.
Gibt es einen Bereich, dem Sie Priorität einräumen?
Es gibt keine bestimmte Fachrichtung, welcher ich besondere Priorität einräumen möchte. Hier bin ich sehr neugierig darauf, mich noch vertiefter mit einigen Fakultäten und Forschungszentren vertraut zu machen. Ein Anliegen, welches mich bereits zu Zeiten als Vizerektorin beschäftigte und welches ich auch als Rektorin weiterverfolgen möchte, ist die Förderung der internationalen Vernetzung der Universität Bern (ENLIGHT, GUILD) sowie der Austausch zwischen verschiedenen Fakultäten und Universitäten.
Was könnte die grösste Herausforderung an der Position Rektorin sein?
Herausfordernd ist bereits heute und auch in Zukunft die Infrastruktur der Universität Bern. Welche Entwicklungen sind notwendig, um aktuellen und zukünftigen Problemen Abhilfe schaffen zu können? Solche Fragen werden sicherlich immer wieder zentraler Bestandteil meiner Arbeit sein. Eine grosse Herausforderung sehe ich auch im Umgang mit der Politisierung der Universität und deren Mitarbeitenden. Die Schnelligkeit und Stärke von medialem Echo und auch die Polarisierung in verschiedenen Bereichen sind sehr aktuelle Themen unserer Gesellschaft, welchen wir als Universität Bern schon heute und sicherlich auch in Zukunft entgegentreten müssen. Ich hoffe hier Ruhe reinzubringen und diese auch in unerwarteten Situationen beizubehalten, um möglichst fundiert Entscheidungen treffen zu können.
Wie sieht Ihr Zeitmanagement aus?
Mit dem Schritt vom Vizerektorat ins Rektorat wird sich das Zeitmanagement weiter professionalisieren. Durch die Unterstützung einer direkten Mitarbeitenden und Abgabe bestimmter Aufgaben ans Sekretariat werde ich meine Arbeitszeit hoffentlich ausreichend den zentralen Themen des Rektorats widmen können. Ich strebe eine möglichst klare Trennung von Arbeit und Freizeit an, sodass ich nicht unbegrenzt verfügbar bin. Das ist mir wichtig, um im Privatleben ausreichend Erholung zu finden und mich anschliessend auch nachhaltig meinen Aufgaben als Rektorin widmen zu können.
Wir möchten gerne etwas über die Person und den Werdegang sowie die Forschung von Virginia Richter erfahren. Gibt es Schlüsselstationen, die für Ihre Karriere entscheidend waren?
Einen Grossteil meiner akademischen Karriere habe ich an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert. Dort habe ich auch meine Dissertation zur Komparatistik verfasst, welche sich mit englischer und französischer Literatur im 18. Jahrhundert befasste. Meine Habilitation widmete sich dem Darwinismus, wodurch auch mein grosses Interesse am Thema «Literatur und Wissenschaft» entfacht wurde.
Mit meinem Wechsel nach Bern durfte ich unter anderem PI des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojektes «The Beach in the Long Twentieth Century» werden, welches sich mit der Rolle des Strandes in der Literatur und Gesellschaft befasst. Der Strand ist zugleich Ort der Erholung und Indikator gesellschaftlicher Zu- und Missstände. Neueste Bademode trifft auf Klimawandel und Flüchtlingsschicksal – Sie sehen, der Strand hat zahlreiche Facetten und Themen zu bieten.
Haben Sie einen Ratschlag für Studierende oder junge Akademiker*innen für ihre berufliche Karriere?
Ich glaube, die wichtigste Voraussetzung für eine akademische Karriere ist die Liebe zu einem Thema. Wenn ein Themenbereich ein wirklich tiefgreifendes Interesse entfacht hat, sodass man sich vorstellen kann, sich über mehrere Jahre hinweg intensiv damit beschäftigen zu können, steigen die Chancen für eine erfüllende und langfristig erfolgreiche Berufstätigkeit. Doch auch hier stossen wir wieder auf die Frage nach Vereinbarkeit mit Familie. Wenn junge Akademiker*innen sich also an diesem Punkt befinden, sollten sie nicht zögern, sich Hilfe bei einer Beratungsstelle zu holen, um dann eine richtige Entscheidung treffen zu können. Auch der Weggang aus der Universität kann übrigens eine gute persönliche Wahl sein und nicht unbedingt ein Scheitern.
Nun etwas näher zu unserer Fakultät: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie Vetsuisse hören? Was denken Sie zu einer Fakultät, die in zwei Universitäten beheimatet ist?
Zum einen kann die Universität Bern stolz sein, dass die Vetsuisse-Fakultät schon lange Zeit in internationalen Rankings sehr gut abschneidet. Zum anderen bringt die Infrastruktur der Vetsuisse immer wieder Probleme mit sich, welche auch in Zukunft weiter ins Zentrum rücken werden. Ich bin also sehr gespannt, auch hier noch mehr Einblicke erhalten zu dürfen, damit in den nächsten Jahren durch Verbesserung der Infrastrukturlage das hohe Niveau der Fakultät weiterhin gesichert werden kann.
Wir in der Veterinärmedizin haben oft Probleme genügend qualifizierten Nachwuchs zu finden, gerade bei der Besetzung von Professuren. Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir die Nachwuchsförderung angehen können und Anreize schaffen?
Ich sehe hier ein Problem im Zeitpunkt, an welchem angesetzt werden soll. Es ist zu spät, erst bei der Besetzung der Professuren Anreize schaffen zu wollen. Vielmehr würde es sich auszahlen, schon früh in attraktive Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende zu investieren, um mehr Interessierte für eine weitere Laufbahn an der Fakultät gewinnen zu können und diese gerade in der empfindlichen PostDoc-Phase nicht zu verlieren.
Wo finden sich Ihre Ziele als Rektorin in der neuen Strategie der Universität Bern „Fit for Future“ abgebildet?
Die „Fit for Future“-Strategie beinhaltet sehr viele Aspekte und wird zur Zeit noch weiter ausgearbeitet. Eines meiner Ziele im Rahmen des «Fit for Future» ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Fakultäten und der zentralen Verwaltung, welche bis anhin immer wieder mit mangelndem gegenseitigem Verständnis zu kämpfen hatten. Mit besseren Strukturen sollte eine effizientere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten und damit auch eine geringere Arbeitsbelastung und weniger Reibungsverluste möglich sein.
Zuletzt noch etwas ganz abseits von Universitätsrektorat und Forschung: Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit?
Die Liebe zur Literatur begleitet mich nicht nur beruflich, sondern auch privat. Neben dem Lesen verbringe ich sehr gerne Zeit beim Wandern und finde hier auch meinen Ausgleich zum fordernden Arbeitsalltag.
Herzlichen Dank Frau Richter, dass Sie uns so offen empfangen und uns Antworten auf unsere Fragen gegeben haben. Für den Antritt ihrer Rektoratsstelle wünschen wir Ihnen alles Gute und freuen uns, die zukünftigen Entwicklungen der Universität Bern und ihren vielfältigen Fakultäten mitverfolgen zu können.